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"Die Gewalt im Irak steht uns ja vor Augen"
Wenn das Chaos eintritt, "dann trifft es die Schwächsten. Und das sind die Christen", mit Sorge blicken die Mitglieder der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien in Augsburg in ihre Heimat.

Dort kämpfen ihre Glaubensbrüder gerade um das Überleben. Sie sind in akuter Gefahr, zwischen den Fronten des syrischen Bürgerkrieges zerrieben zu werden.

Simon Jacob, Integrationsbeauftragter in Augsburg, wird noch deutlicher: Alle anderen Bevölkerungsgruppen hätten entsprechenden Rückhalt in der Region. Die Sunniten Katar und Saudi-Arabien, die Alawiten den Iran, die Kurden ihre Stammesbrüder in der Autonomen Republik im Norden des Irak. Doch: "Der Christ kann nur in den Westen gehen." Syrien sei "ein urchristliches Land", doch "wir haben ständig das Beispiel des Irak vor Augen". Dort sei christliches Leben nur noch in Restbeständen im kurdisch dominierten Norden möglich. Es gab gezielten Terror gegen Christen, so dass sie sich nicht mehr sicher fühlen konnten. Unter Assad fühlten sie sich sicher, so die Augsburger.

So versuchen sie oft aus abenteuerlichen Wegen in den Westen zu gelangen. Besonders tragisch: Viele von ihnen seien zunächst, noch vor Beginn des syrischen Bürgerkriegs, gerade dorthin geflohen - und gerieten nun zwischen alle Fronten.

Das Augsburger Gemeindemitglied Aho Sanharib berichtet von seiner Familie in der nordsyrischen Stadt Qamishli an der Grenze zur Türkei. Vor etwa drei Monaten erst wurde dort ein Bus mit 23 Christen - davon sechs engen Familienangehörigen Sanharibs - von muslimischen Extremisten gestoppt. Ein Cousin trug als Geschäftsmann seine gesamten Einnahmen von umgerechnet 40.000 Euro bei sich, die natürlich geraubt wurden. Die Businsassen wurden misshandelt. Doch ihren Glaubensbrüdern gelang es, selbst eine Gruppe Moslems festzusetzen. Nach zwölf Stunden wurden beide Geiselgruppen gegeneinander ausgetauscht.

Die Bedrohungen jedoch dauern an. Teilweise haben die Christen sich nun selbst bewaffnet, "um die eigenen Leute und die Kirchen zu schützen". Aber sie wollen keinen bewaffneten Konflikt, so die Augsburger. Immer wieder erhalten sie Drohungen wie "Wenn wir erst an der Macht sind, werden wir eure Weinberge nehmen." oder "Wenn ihr nicht für Assad seid, müsst ihr uns eure Weinberge zur Verfügung stellen". 

Etwa zwei Millionen der gut 20 Millionen Syrer gehörten vor Beginn der Kämpfe dem Christentum an. Dabei sank ihr Anteil in den vergangenen 25 Jahren bereits kontinuierlich von 15 Prozent auf die zehn Prozent der Bevölkerung, die nun noch offiziell gelten. Neben der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien, der größten christlichen Kirche dort, gibt es weitere orthodoxe Konfessionen, Assyrer (Nestorianer) oder die armenisch-apostolische Kirche sowie weitere kleine chaldäische, katholische und protestantische Minderheiten. Sie versuchen sich jetzt in der Bedrohung gemeinsam zu organisieren.

In Augsburg besteht neben Gütersloh die zweitgrößte syrisch-orthodoxe Gemeinde Deutschlands mit etwa 3.700 Mitgliedern und vier Geistlichen. In den 1960er Jahren begann der Zuzug der Gemeindemitglieder an den Lech. Und zwar interessanterweise als "Türken". Denn sie stammen zumeist aus dem türkisch-syrischen Grenzgebiet. Zusammen mit den Armeniern waren sie von den  jungtürkischen Massakern während des Ersten Weltkrieges betroffen. Viele Orthodoxe versteckten sich im heutigen türkisch-syrischen Grenzgebiet oder im heutigen Syrien. Die Stadt Qamishli etwa entstand erst zu dieser Zeit. Als dann Deutschland nach 1960 Gastarbeiter aus der Türkei anwarb, bot sich ihnen die Chance den andauernden Repressalien in ihrer Heimat zu entkommen. In Deutschland galten sie nun als "Türken", wenn auch ohne Kopftuch.

Gottesdienst- und oft auch noch Alltagssprache ist Aramäisch, "die Sprache Jesu", wie Gemeindevorstand Daniyel Akgüc betont. In Deutschland geschähe jedoch zunehmend ein Kulturabbruch. Die Nichten und Neffen des 34-jährigen Jacob, der seit seinem zweiten Geburtstag in Augsburg lebt, könnten sich kaum noch mit ihrem Großvater unterhalten. "Wahrscheinlich muss man bald schon die Gottesdienste auf Deutsch halten", damit sie überhaupt noch verstanden werden. Der Integrationsbeauftragte selbst sammelte seine ersten christlichen Erfahrungen als Ministrant in einer katholischen Gemeinde, bevor er sich wieder seinen Ursprüngen zuwandte.

"2.000 Jahre haben wir unsere Identität bewahren können", so Simon Jacob, doch nun stehen alle Zeichen auf Sturm. Die syrisch-orthodoxen Gemeindemitglieder etwa berichten von einem jungen Mann aus ihrer Heimat, der in die Rebellenarmee gepresst wurde und sich öffentlich per Video zum Islam bekennen musste. Inzwischen gelang ihm die Flucht nach Istanbul. Und er erklärte, dass dies Bekenntnis nur unter massiven Druck erpresst wurde. Die Augsburger Gemeinde sorgt sich weiter um ihn. Und sie sammelte für die Kinder eines Waisenhauses in Homs, die auf die umliegenden Dörfer verteilt wurden, da ihnen die Bombardierung drohte.

Susanne Borée

Quelle:http://www.evangelisches-sonntagsblatt.de/index.php?id=902








DruckenDrucken | 02-10-2012, 13:42:00 |

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