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Syrien-Konflikt: „Man hat uns Christen im Stich gelassen
Syrien-Konflikt: „Man hat uns Christen im Stich gelassen

Interview  Der syrisch-orthodoxe Patriarch Ignatius Aphrem II Karim fordert im Interview mit Stimme.de mehr Unterstützung von Europa. Der Geistliche wirbt um Hilfe, damit Christen in ihrer Heimat im Nahen Osten bleiben können.



Christliches Leben im Nahen Osten ist in seiner Existenz bedroht. Der Exodus hat sich mit dem Aufstieg der Terrormiliz IS noch einmal beschleunigt. Der Patriarch der syrisch-orthodoxen Kirche, Ignatius Aphrem II. Karim, kommt Ende der Woche zur Sicherheitskonferenz nach München. Mit einer Botschaft: Er erwartet von Europa mehr Unterstützung.

Eure Heiligkeit, Sie wurden im März 2014 zum Oberhaupt der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien gewählt. Welche Vorsätze hatten Sie – angesichts des Exodus von Christen in Syrien und im Irak?

Ignatius Aphrem II. Karim: Ich wurde in sehr schwierigen Zeiten zum Patriarchen gewählt und inthronisiert. Es war mir deshalb wichtig, unserer Gemeinschaft zu zeigen, dass ich mit den Menschen fühle und dass wir bei ihnen sind in ihrem Schmerz und Leiden. Eine meiner ersten Amtshandlungen war eine Erklärung, dass unser Patriarchat in Damaskus erhalten bleiben wird. Wir haben den Sitz meiner Residenz aus dem Kloster außerhalb von Damaskus zurück ins alte Damaskus verlegt, um näher bei den Menschen sein zu können. Außerdem haben wir eine Jugendabteilung gegründet, damit wir den Bedürfnissen der jungen Menschen gerecht werden. Sie stellen in unserer Gemeinschaft die Mehrheit.

Viele syrisch-orthodoxe Christen sehen im Irak und in Syrien keine Perspektive mehr. Wie kann es gelingen, dass Sie noch an eine Zukunft im Nahen Osten glauben?

Aphrem II.: Unsere Vorfahren stammen aus dem heutigen Syrien und dem Irak, es ist unsere Heimat seit Tausenden von Jahren. Unser Volk muss sich sicher fühlen, damit es in seiner Heimat bleibt. Deshalb fordern wir den Schutz vonseiten der staatlichen Armeen dieser beiden Länder. Neben der humanitären Hilfe, die unsere Kirche täglich anbietet arbeiten wir hart daran, gerade für die jungen Menschen Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen.


Bild: Der Patriarch der syrisch-orthodoxen Kirche, Ignatius Aphrem II. Karim

Wie real ist die Gefahr, dass christliches Leben im Nahen Osten ausgelöscht wird?

Aphrem II.: Wenn keine wirklichen Anstrengungen unternommen werden, um den anhaltenden Exodus der Christen in Syrien und im Irak zu verhindern, wird es dort eines Tages keine christliche Existenz mehr geben. Diese Gefahr ist sehr real. In der Türkei gibt es kaum noch Christen. Im Heiligen Land hat sich ihre Zahl dramatisch verringert. Und jetzt in Syrien sind wir Zeuge eines massiven Exodus unseres Volkes. Nach unseren Schätzungen haben 40 bis 45 Prozent der Christen Syrien bereits verlassen.

Sie besuchen die Münchner Sicherheitskonferenz. Welche Unterstützung wünschen Sie sich?

Aphrem II.: Zunächst wollen wir, dass uns jemand zuhört und die Stimme unserer Gemeinschaft Gehör findet. Die Berichterstattung in den Medien ist häufig sehr einseitig, und wir wollen, dass die internationale Gemeinschaft unsere Positionen wahrnimmt. Zweitens bitten wir um die Unterstützung unserer Projekte und Programme. Deren Ziel ist es, dass die Menschen in ihrer Heimat bleiben können.

Brauchen Christen auch eine militärische Schutzmacht?

Aphrem II.: Die Situation unterscheidet sich von Ort zu Ort. Wir wünschen uns, dass die jeweiligen Staaten über funktionierende Streitkräfte verfügen, die in der Lage sind, alle Menschen zu schützen. Wir wollen als Staatsbürger gleich behandelt werden – unabhängig von der Religionszugehörigkeit.

Fühlen Sie sich von Europa und anderen christlichen Ländern im Stich gelassen?

Aphrem II.: Ja. Als Christen finden wir, dass unsere Anliegen nicht hoch genug angesiedelt sind auf der Agenda der europäischen Länder. Wir fühlen uns häufig so, als würden wir geopfert beim Versuch, einen Regimewechsel herbeizuführen und die Karte der Region neu zu zeichnen.

Zehntausende Christen mussten ihre Heimat in Syrien und im Irak verlassen. Nach der Befreiung vom Islamischen Staat zögern viele vor einer Rückkehr, weil sie Übergriffe fürchten. Kann das Zusammenleben dort überhaupt noch gelingen?

Aphrem II.: Zunächst ist es noch immer sehr gefährlich, in die befreiten Gebiete zurückzukehren. Aber, ja, wir glauben noch immer daran, dass es die Möglichkeit des Zusammenlebens gibt. Tatsächlich ist es unsere einzige Möglichkeit, um zu überleben. Was den Irak betrifft, so glauben wir daran, dass es Christen und anderen Minderheiten in einer föderalen Ordnung ermöglicht werden sollte, ihre eigene international geschützte Enklave zu bekommen. Das gilt vor allem für die Ninive-Ebene (sie liegt im Norden und Westen der irakischen Stadt Mossul, wo sehr viele Christen vertrieben wurden, Anm. der Redaktion)

Glauben Sie, Sie bekommen dafür internationale Unterstützung?

Aphrem II: Anfangs haben wir dafür Zustimmung von einigen westlichen Staaten erfahren. Wir glauben, dass es im Interesse der internationalen Gemeinschaft ist, ein internationales Gremium zu haben, das dafür bereit ist, mit allen Regierungen in der Region zusammenzuarbeiten. Es soll eine Quelle für den Frieden und den guten Willen werden.

Wäre der irakische Staat bereit, internationale Truppen für den Schutz zu akzeptieren?

Aphrem II: Wir wissen nicht, ob der irakische Staat zustimmen würde. So lange uns aber keine Zentralregierung schützen kann, welche andere Möglichkeit haben wir?

Ist ein interreligiöser Dialog zwischen Christen und Muslimen in der Region derzeit überhaupt noch möglich?

Aphrem II.: Wir legen großen Wert auf den akademischen Dialog. Aber wir setzen unsere große Aufmerksamkeit darauf, gemeinsame Aktivitäten umzusetzen, an denen sich junge Menschen verschiedener Religionen austauschen, die an gemeinsamen Projekten oder Workshops teilnehmen. Es ist von existenzieller Bedeutung, den Dialog von der akademischen Ebene auf eine alltägliche Ebene zu bringen.

Dennoch gibt es noch immer starke Unterstützung für den sogenannten Islamischen Staat. Was ist in ihren Augen nötig, um die Ideologie und den Hass aus den Gedanken der Menschen zu verbannen?

Aphrem II: Zunächst sollte es eine klare Verurteilung der Ideologien von ISIS seitens der islamischen Zentren wie der Al-Azhar-Universität und anderen Einrichtungen geben. Zweitens ist eine Revision der islamischen religiösen Lehrpläne nötig, um sicherzustellen, dass es keine Interpretation des islamischen Textes zur Unterstützung der ISIS-Ideologien gibt. Darüber hinaus sollte es klare Aussagen von islamischen religiösen Führern zum Schutz von Christen geben.

Wenn wir nach Syrien blicken: Kann es dort überhaupt eine Schutzmacht außer Präsident Assad oder seiner Regierung für Christen geben?

Aphrem II.: Wir ziehen immer eine starke Regierung vor, die in der Lage ist, alle Menschen zu schützen. In den vergangenen 50 Jahren war es die syrische Regierung, die uns als Teil des syrischen Volkes behandelt hat. Wir glauben, dass wir von einer legitimen säkularen Regierung und seiner Armee geschützt werden sollten. Und wir glauben, dass die internationale Gemeinschaft dem syrischen Volk beim Kampf gegen den Terrorismus helfen sollte.

Wenn Sie ein Blick in die Zukunft wagen: Wie wird das christliche Leben im Nahen Osten in fünf bis zehn Jahren aussehen?

Aphrem II: Leider wird die Zahl der Christen schwinden; ihre Anwesenheit wird geschwächt, und kleine Gemeinschaften werden ausgelöscht, Kirchen werden geschlossen. Aber es wird eine Konzentration der Christen in größeren Städten geben. Wir sind zuversichtlich, dass die Christen weiter kulturell, wirtschaftlich und sozial in allen Lebensbereichen ihrer Länder aktiv sein werden. Wir glauben, dass das Geburtsland des Christentums Heimat der Zeugen Christi bleiben wird.

Zur Person:

Ignatius Aphrem II. Karim ist seit dem Jahr 2014 der 123. Patriarch der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien. Der heute 51-Jährige wurde in Qamischli in Syrien geboren. Er hat Theologie studiert und war Priester in Großbritannien und in den USA. Im Juni 2016 entging das Kirchenoberhaupt nur knapp einem Mordanschlag während eines Gottesdientes in Qamischli. Die syirsch-orthodoxe Kirche hat weltweit mehr als 3,5 Millionen Gläubige. Etwa 100.000 davon leben in Deutschland. Aktive Gemeinden in der Region gibt es in Heilbronn-Kirchhausen und in Kirchardt.

Quelle: Heilbronner Stimme



DruckenDrucken | 18-02-2017, 12:43:00 |
   
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