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Zum Islam konvertieren oder den Kopf verlieren
Islamistische Rebellen bedrohen den Wallfahrtsort Maalula in Syrien. Unter Assad durften die Christen ihre Religion frei ausleben – nun gelten sie als
Kollaborateure und werden vertrieben.

Von Dietrich Alexander  und Birgit Svensson, Amman/Maalula

"Maalula muss man unbedingt gesehen haben", sagt Abu Hassan. Er sitzt am Steuer seines klapprigen weißen Peugeot und fährt mit hoher Geschwindigkeit aus Damaskus
hinaus Richtung Nordwesten. "Das ist so wie die Pyramiden in Ägypten oder die Ruinenstadt Petra in Jordanien", sagt der Syrer stolz – immerhin handelt es sich bei
 den beiden Vergleichsfällen um Weltkulturerbestätten. Mindestens so wichtig ist Maalula für die Identität seines Landes.

Kaum irgendwo sonst in Syrien verfließen Legenden, Märchen, Glaube und Geschichte so untrennbar ineinander. Seit der Steinzeit bewohnt, bildete sich hier eine der
ersten christlichen Gemeinden. Heute ist das Dorf einer der wichtigsten christlichen Pilgerorte Syriens.

Die fast 60 Kilometer von Damaskus schafft der 56 Jahre alte Abu Hassan, im Hauptberuf Schreibwarenhändler, in etwas mehr als einer halben Stunde. Als sein Gefährt
 den Berg hinaufkommt, gerät es ins Stocken. Die Kalamun-Berge entlocken dem Wagen Baujahr 1981 die letzten Kraftreserven. Maalula liegt in 1500 Meter Höhe.
Die letzten 200 Meter müssen zu Fuß bewältigt werden. Zwei enge Schluchten führen zu dem in die Felsen gebauten Dorf, das einmalig ist auf der Welt. Hier wird
noch Aramäisch gesprochen, die Sprache, in der Jesus Christus gepredigt hat. Rafik Schami, einer der bekanntesten syrischen Schriftsteller und selbst aramäischer
Christ, hat Teile seines Romans "Die dunkle Seite der Liebe", eine arabische Variante von Romeo und Julia, in das Dorf verlegt, aus dem die Sippe
seines Vaters stammt.

Maalula ist ein mystischer, ein friedlicher Ort. Wenn Abu Hassan wütend und frustriert ist, kommt er hierher, setzt sich in die kleine Kapelle des Klosters Mar Sarkis, redet ein wenig mit dem Pater und fühlt sich dann besser. Obwohl er Muslim ist, fühlt er sich bei den Christen in Maalula gut aufgehoben. "Es ist, als ob sie den Teufel austreiben könnten", sagt er und hebt die Stille und Ausgeglichenheit hervor, die der Ort ausstrahlt. "Hier hat das Böse keinen Platz", sagt Abu Hassan. Doch jetzt
 muss er feststellen, dass das Böse in den Wirren des syrischen Bürgerkriegs inzwischen auch nach Maalula gegriffen hat.

"Hält sich Assad etwa in Maalula auf?"

Syrische Rebellen, vor allem die extremistisch-sunnitische Al-Nusra-Front, liefern sich seit Wochen erbitterte Gefechte mit den Regierungstruppen um das Bergdorf.
 Zeitweise konnten die Extremisten Teile des Dorfes einnehmen, die ursprünglich 3000 Bewohner flohen in Scharen. Sie berichten von schweren Verwüstungen,
Beschimpfungen und sogar Zwangskonvertierungen zum Islam unter Waffengewalt und der Drohung, man werde ihnen sonst den Kopf abschlagen.

Das Dorf ist inzwischen wieder unter Kontrolle der Regierungstruppen, aber die Berge gehören den Rebellen. Auf halbem Weg sind 40 Nonnen und Waisen gefangen zwischen
 den Fronten. "Die Gemeinschaft Mar Takla durchlebt schmerzhafte Tage, weil sie sich mitten im Kampfgebiet befindet", teilt die griechisch-orthodoxe Kirche in Damaskus mit. "Die Versorgung ist schwierig und gefährlich."

Marie konnte aus Maalula fliehen und brachte sich in Damaskus in Sicherheit. Als die Al-Nusra-Kämpfer in die Stadt eingedrungen seien, hätten sie "Maalula ist die
 Wunde Christi" gebrüllt und die Bewohner als "Kreuzfahrer" bezeichnet. Ein anderer Bewohner erzählt, sein Nachbar sei mit einer Waffe bedroht und gezwungen worden,
 zum Islam zu konvertieren. "Jetzt ist er einer von uns", hätten die Islamisten anschließend lachend gerufen. Viele der Angreifer seien Ausländer gewesen, berichtet ein Bewohner telefonisch der Nachrichtenagentur Associated Press. Tunesier, Marokkaner, Libyer und Tschetschenen – er habe verschiedene Dialekte gehört.

"Sie behaupten, gegen Assad zu kämpfen – aber hält sich Assad etwa in Maalula auf?", fragt eine andere Bewohnerin vorwurfsvoll eine Reporterin von Russia Today.
 Sie hat bei Verwandten im christlichen Stadtteil von Damaskus Zuflucht gefunden, in Bab Tuma. "Ihr Kampf richtet sich nicht gegen Assad. Sie wollen ein islamisches
Emirat im gesamten Nahen und Mittleren Osten errichten." Maalula sei strategisch wichtig, meinen die islamistischen Rebellen. Viele halten das für einen vorgeschobenen Grund, um diesen christlichen Wallfahrtsort religiös zu "säubern", die "Ungläubigen" auszulöschen.

Exodus der Christen

Seit Jahrhunderten, wahrscheinlich seit Anbeginn christlicher Zeitrechnung, ist Maalula christlich-aramäisch geprägt. Bis heute wird dort eine weibliche "Apostelin"
 verehrt, die Paulusschülerin Thekla. Die beiden Klöster, die den Ort prägen und ihn berühmt gemacht haben, sind Anfang des vierten Jahrhunderts n. Chr. erbaut worden. Sarkis, Sergius oder auch Serge, je nach Sprache, war ein römischer Soldat, der wegen seines christlichen Glaubens verfolgt, ermordet und dadurch zum Märtyrer erklärt wurde. Anfangs boten die Höhlen der unbewachsenen Kalamun-Berge Unterschlupf für religiös Verfolgte. Mit der Zeit sind Häuser aus Stein daraus erwachsen, zwei Klöster gebaut worden. Mar Sarkis ist eines der ältesten Klöster weltweit. Pater Michel ist der einzig noch verbliebene Abt in Maalula. Er will hier ausharren, solange es geht, obwohl seine Mönchsbrüder in Frankreich und Griechenland ihm raten, Syrien zu verlassen. Zeitweise, so heißt es, tauche er in Damaskus unter und versuche, medizinische Versorgung für seine Gemeinde zu organisieren.

Exodus der Christen: zuerst aus dem Irak, nun aus Syrien. In Scharen verlassen sie die Region. Bald wird es keine Assyrer, Aramäer, Chaldäer, Armenier, Kopten und
Griechisch-Orthodoxe im Stammland der Christen mehr geben. Die Vielfalt der christlichen Konfessionen wird dann für immer verschwunden sein. Während sich die Zahl
der Christen seit dem Einmarsch der Amerikaner und Briten im Irak vor zehn Jahren halbiert hat und heute nur noch zwei Prozent der fast 30 Millionen Iraker Christen
sind, droht in Syrien das gleiche Szenario.

Als das Land 1945 unabhängig wurde, waren rund 20 Prozent der Syrer christlichen Glaubens, bei Ausbruch des Bürgerkrieges vor zweieinhalb Jahren wurden sie nur
noch auf knapp sechs Prozent der etwa 22 Millionen Syrer geschätzt. Mit zunehmendem Einfluss der radikalen Islamisten hat sich ihre Zahl noch einmal drastisch
verringert. Schätzungen zufolge sind unter den gut zwei Millionen Syrern, die bislang ins Ausland flohen, rund 100.000 Angehörige der verschiedenen christlichen
 Konfessionen.

Die meisten syrischen Christen gelten als Anhänger des Regimes von Baschar al-Assad, obwohl die Freie Syrische Armee der Aufständischen auch über ein christliches
 Rebellenbataillon verfügt. Doch je mehr die Dschihadisten an Einfluss in Syrien gewinnen, desto gefährdeter sind die Christen. In einem islamischen Gottesstaat,
 wie ihn die Radikalen propagieren, leben Christen gefährlich.

"Für uns gibt es in Syrien keinen Platz mehr"

Drei Jahrhunderte lebte die Familie von Abu Dschahia im Süden Syriens. Sie überstand zwei Weltkriege und unzählige regionale Konflikte in ihrer Heimat Ain
al-Dschuseh im Umland von Homs. Doch dann kamen die Dschihadisten – und den christlichen Syrern blieb nur noch die Flucht. "Islamistische Kämpfer kamen zu unserem
Haus und sagten, wir hätten zwei Möglichkeiten: zum Islam zu konvertieren oder zu gehen", sagt Abu Dschahia, der inzwischen im jordanischen Flüchtlingslager Saatari
 lebt. "Für uns gibt es in Syrien keinen Platz mehr", erklärt er. Er hat Angst. Seinen Familiennamen will er nicht nennen.

Die meisten Christen hatten zunächst versucht, sich aus dem Bürgerkrieg herauszuhalten. Im säkularen Staat unter Baschar al-Assad konnten sie frei ihre Religion
 ausüben – allerdings wie andere gesellschaftliche Gruppen unter Kontrolle des Geheimdienstes. Von den radikalen Oppositionellen werden sie deshalb nun als "
Kollaborateure" angesehen. Als das Regime medienwirksam die "Rückeroberung" Maalulas verkündete, waren die wenigen dort verbliebenen Bewohner zwar erleichtert,
aber ihre Zukunft ist dennoch düster: ein Leben unter ständigem Schutz einer autokratischen Staatsmacht.

Die meisten blicken nach Europa

Abu Mohammed al-Hamad, ein Kommandeur der oppositionellen Freien Syrischen Armee in Aleppo, will das Vertrauen der christlichen Gemeinde in seinem
Zuständigkeitsbereich gewinnen. "Wir versichern unseren christlichen Brüdern immer wieder, dass wir für ein freies Syrien kämpfen und nicht für einen
islamischen Gottesstaat", sagt er. "Doch jedes Mal, wenn Dschihadisten für einen Angriff oder eine Entführung verantwortlich gemacht werden, ist das
Vertrauen der Christen in die Revolution und in uns wieder verloren."

Die meisten christlichen Syrer im Exil blicken nach Europa, weil sie die Hoffnung verloren haben, in ihr Heimatland zurückkehren zu können. Der 52-jährige
 Juwelier George aus Damaskus sagt: "Extremismus hat den Irak zerstört, den Libanon, Ägypten und jetzt Syrien." Er steht in einer Warteschlange vor der
schwedischen Botschaft in Amman, wo er einen Antrag auf Asyl stellen will. "Für uns Christen gibt es nur noch einen Weg: den nach Westen."

Der armenisch-katholische Erzbischof von Aleppo, Boutros Marayati, hat sich skeptisch über die Zukunft der Christen in Syrien geäußert. Auch nach einem
Waffenstillstand würden viele Christen das Land verlassen, sagte er dem vatikanischen Pressedienst Fides. Es gebe keine Hoffnung mehr, dass das Land zu

einem friedlichen Zusammenleben der Religionen wie früher zurückkehren werde. Weder von den oppositionellen Gruppen noch von den Dschihadisten oder
anderen gebe es Zeichen, "die Christen ermutigen würden", so der Erzbischof. Der Angriff auf Maalula durch islamische Extremisten habe "symbolischen Wert".
  
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