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Aramäer in Deutschland: Trauer um Josef Gabriel

Der Gründer eines aramäischen Hilfswerks galt als unermüdlicher Brückenbauer zwischen den Konfessionen und als engagierter Sprecher der syrisch-orthodoxen Gemeinde in Deutschland. Gastbeitrag von Michael Hesemann

Göppingen (kath.net) 1.500 Trauergäste, darunter Vertreter der Politik und der katholischen und evangelischen Kirche nahmen am Dienstag im baden-württembergischen Göppingen an der Bestattungsfeier von Josef Gabriel (41) teil, der als Gründer des aramäischen Hilfswerks „We Are Christians“ weit über konfessionelle Grenzen hinaus bekannt und geschätzt war. Er galt als unermüdlicher Brückenbauer zwischen den Konfessionen und als engagierter Sprecher der syrisch-orthodoxen Gemeinde in Deutschland. Vor allem aber war er ein Mann mit einem riesengroßen Herzen, der nicht viel redete, sondern sofort Hilfe organisierte, als er vom Leid unserer christlichen Brüder und Schwestern in Syrien und im Irak erfuhr.

Josef Gabriel wurde 1976 in Augsburg als Sohn eines syrisch-orthodoxen Priesters geboren. Doch seine Wurzeln lagen auf dem Tur Abdin, dem „Berg der Knechte Gottes“, wie das Kalksteingebirge nahe der türkisch-syrischen Grenze heißt, eine christliche, meist syrisch-orthodoxe, Enklave, die Jahrhunderte der Verfolgung und Unterdrückung überstand, bis der Völkermord der Türken an den christlichen Bewohnern des Osmanischen Reiches 1915/16 auch ihre Reihen extrem lichtete. Zwischen 200.000 und 300.000 „Suryoye“ fielen dem „Sayfo“, dem „Jahr des Schwertes“ – wie die Nachkommen der Überlebenden den Völkermord nennen – zum Opfer.

 

Josef Gabriels Familie überlebte wie durch ein Wunder. In der Türkei wurde sie nie mehr heimisch, denn auch in den Jahrzehnten nach dem Urverbrechen des 20. Jahrhunderts setzten sich die Schikanen fort – bis in die Gegenwart, wo die Regierung Erdogan syrisch-orthodoxe Kirchen und Klöster beschlagnahmt. Sie zählt zu den Aramäern, den Nachkommen eines biblischen Volkes, deren Sprache sich zur Zeit des Perserreiches im ganzen Orient ausbreitete und auch von Jesus und seinen Jüngern gesprochen wurde. Der Wunsch, in Freiheit seinen zu leben, veranlasste seine Eltern in den 1970er Jahren wie gut hundert andere Familien aus dem Tur-Abdin, nach Deutschland auszuwandern, wo er zusammen mit seinen Geschwistern in Augsburg aufwuchs. 2001 heiratete er seine bildschöne Frau Gula und zog nach Göppingen, wo er eine Dachdeckerfirma gründete und seine Frau ein Reisebüro und ein Kosmetikstudio eröffnete. Bald wurde er zum Vater zweier Kinder namens Sarah und Serafin und einem angesehenen Mitglied seiner Gemeinde, bestens vernetzt und im Vorstand des „Bundesverbandes der Aramäer in Deutschland“.

Doch die Stunde, die ihn selbst zur lebenden Legende machte, schlug im Herbst 2014, als Berichte von einem neuen Völkermord die Welt erreichten. Der Islamische Staat (IS) hatte zu diesem Zeitpunkt dem größten Teil Nordmesopotamiens und den Nordosten Syriens erobert, darunter die Niniveh-Ebene, das Stammland der Tur Abdin-Bewohner, und ihre uralte Bischofsstadt Mosul. Der IS vertrieb die Christen zu Hunderttausenden und verlangte denen, die nicht gehen wollten oder konnten, horrende Steuern und Zwangsabgaben ab; wer nicht bezahlte, wurde brutal ermordet. Zum Symbol der Verfolgung wurde der arabische Buchstabe „Nun“ für „Nasrani“ („Nazarener“; Bezeichnung für die Christen im Islam), den die Islamisten den Christen mit roter Farbe auf ihre Häuser sprayten, um sie als Rechtlose zu brandmarken. Das goldene Nun auf schwarzen Hintergrund wurde zum Logo einer internationalen Solidaritätskampagne. Es sollte anzeigen, dass wir alle betroffen sind, wenn unsere Brüder und Schwestern im Orient, dem Mutterland unseres Glaubens, verfolgt werden.

Sofort engagierte sich auch Josef Gabriel für diese Kampagne. Doch es genügte ihm nicht, das „Nun“-Zeichen als Aufkleber auf seinem Wagen oder als Logo auf seinem Facebook-Profil zu tragen. Er wusste, dass Hunderttausende Christen, die vor dem IS-Terror geflohen waren, jetzt mehr brauchten, als die Solidarität unserer Sonntagsreden und Facebook-Seiten. Sie benötigten zuallererst einmal konkrete Hilfe: Nahrungsmittel und Kleidung für Kinder wie für Erwachsene! So fasste sich Josef Gabriel ein Herz, verließ seine „Komfortzone“ und ging den einen Schritt weiter, der ihn als Mann der Tat, nicht bloß der Worte, ausmachte. Er ließ das „N“-Logo auf T-Shirts drucken und verkaufte sie, um Spenden zu sammeln. Er gründete die aramäische Wohltätigkeitsorganisation „We are N“, später umbenannt in „We are Christians“, um die Spenden zu verwalten. Und da er verhindern wollte, dass Verwaltungskosten Dritter die gesammelten Beträge reduzierten, sorgte er dafür, dass wirklich jeder Cent bei den Bedürftigen ankam. Auf eigene Kosten flog er immer wieder nach Syrien und in den Nordirak, um Hilfsgüter und -Gelder persönlich bei den Betroffenen, in den Flüchtlingslagern oder bei den christlichen Bischöfen abzuliefern. Dass er damit ein großes Risiko einging, dass er als Familienvater sein Leben aufs Spiel setzte, war für ihn zweitrangig. „Des passt scho“, meinte er nur mit schwäbisch-aramäischer Gelassenheit, wenn er einmal wieder vor den Gefahren einer solchen Reise ins Krisengebiet gewarnt wurde.


Was er dort leistete war unglaublich und bewies, dass ein Einzelner sehr wohl etwas verändern kann. Schon beim ersten Besuch in der Ninive-Ebene im Herbst 2014 konnten Gabriel und seine Helfer Grundnahrungsmittel und Babynahrung in den Städten Erbil, Ankawa und Dohuk im Nordirak verteilen; der lokale Erzbischof von Mossul, Mor Nicodemos Daoud Sharaf, hatte ihn mit offenen Armen begrüßt und sofort alle Wege geöffnet. Zu Weihnachten 2014 sammelte „We are Christians“ über 40 Tonnen Winterkleidung und -Schuhe sowie 1500 Pakete mit Weihnachtsgeschenken und 5000 Babynahrungspakete, die in zwei LKWs in den Nordirak transportiert wurden. Gabriel war persönlich nach Erbil geflogen, um sie dort pünktlich am 1. Weihnachtstag entgegenzunehmen und ihre Verteilung zu überwachen. Zudem kaufte er von dem in Deutschland zuvor gesammelten Geld vor Ort weitere Lebensmittel ein, sodass er und seine Helfer in den nächsten 14 Tagen mehrere Flüchtlingscamps besuchen und insgesamt über 60 Tonnen Hilfsgüter verteilen konnten.

Dort bekam er mit, dass die christlichen Flüchtlinge in den Lagern vor allem unter der eisigen Winterkälte litten. Also organisierte er für hunderte Familien Heizstrahler und kaufte vor Ort 10 Fässer mit insgesamt 2000 Litern Diesel, damit in einigen Camps die Stromgeneratoren am Laufen gehalten werden konnten. Bei der nächsten Hilfsaktion war er zudem in der Lage, für 18.000 Dollar Medikamente einzukaufen und an Bedürftige zu verteilen. Dafür dankten ihm Vertreter der Kirchen, selbst der Bundesregierung.

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet dieser Ritter der Caritas, der wahrhaft christlichen Nächstenliebe, dieser Mann mit dem gewaltig großen Herzen, an einer Schwäche eben dieses Organs verstarb. Zunächst waren es Schmerzen in den Beinen, dann die Diagnose, die eine OP notwendig machte. Mit letzter Kraft hielt er noch einen Vortrag über die Lage der Christen im Nahen Osten auf einer Konferenz zum Thema „Christenverfolgung heute“ auf dem Schönblick, einem evangelischen Kongresszentrum in Schwäbisch-Gmünd. Er hatte dazu auf eigenen Wunsch das Krankenhaus verlassen, danach aber war die Operation unausweichlich. Er glaubte, er habe sie gut überstanden, telefonierte noch mit seiner ihn liebenden Frau, versprach, sie in den nächsten Monaten mehr zu entlasten – und wurde nur Stunden später tot aufgefunden.

Zurück hinterließ er tausende Mitbrüder, die es nicht fassen konnte, dass dieses unermüdliche, große Herz des Josef Gabriel nicht mehr schlug. Dass er sich aus Liebe zu seinen Brüdern und Schwestern im Nahen Osten verausgabt, ja aufgeopfert hatte. Und dass seiner Frau und seinen Kindern nur noch die Erinnerung bleibt an einen großen Mann, der ihr Ehegatte und Vater war, nun aber Tausenden ein Vorbild ist. Er war ein treuer Schüler der Heiligen, der in der Stunde größter Not für seine Glaubensbrüder berufen wurde, ihnen nachzufolgen. Sein Tod hat in den Herzen und Leben aller, die ihn gekannt haben, eine schmerzende Lücke hinterlassen. Aber er verpflichtet sie auch, sein Lebenswerk fortzusetzen.

So platze die Pfarrkirche von Göppingen aus allen Nähten, als der syrisch-orthodoxe Erzbischof für die Diözese Deutschland mit Sitz in Warburg, Mor Philoxenos Matthias Nayis, im Beisein eines Dutzends syrisch-orthodoxer Priester die bewegende Trauerfeier auf Aramäisch, in der Sprache Jesu und der uralten Liturgie der ersten Christen, zelebrierte. Anschließend, im Trauersaal, hatten Freunde Tischkarten mit der tröstendsten Erklärung für seinen viel zu frühen Tod ausgelegt: „Als Gott sah, dass der Weg zu lang, der Hügel zu steil, das Atmen zu schwer wurde, legte er seinen Arm um dich und sprach: ‚Komm heim!“

Quelle:Kath-net
  
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